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Kommentar von Manuela Hötzl

Die Zukunft im Rückspiegel

Ausstellung „Latente Utopien“, Landesmuseum Johanneum, 24.Oktober.2002 bis 02.März.2003, Steirischer Herbst 2002, Graz

Architekturoffensive des Steirischen Herbstes / II Teil:

Am 24. Oktober eröffnete die Ausstellung „Latente Utopien“, kuratiert von Zaha Hadid und Patrik Schuhmacher. Dieser Titel ist eine Analyse wert: Eine Utopie impliziert etwas „Unmögliches“, eine Vision, die noch nicht realisierbar ist. Verbindet man diese Sichtbarmachung einer möglichen Möglichkeit mit etwas Verborgenen, Latenten stellt sie sich schon zu Anfang selbst in Frage. Oder man sieht es als Aufforderung an das Publikum, sich auf die Suche zu machen, hinter den Vorhang zu schauen und auf Entdeckungsreise zu gehen. Doch damit ist man schon gescheitert, an dem Begriff und an der Ausstellung. Sie zeigt nicht mehr als eine nette Retrospektive für architekturinteressierte Stadtbewohner und kapituliert vor einer fachlichen Auseinandersetzung. Außer formalen Krimskrams, Bildchen, Groß- und Kleinmöbel, Installationen, die sich schon seit Jahren willenlos Wachstum und Bewegung hingeben, für das Fließende und Weiche eintreten, und Lebendigkeit propagieren, bietet die Ausstellung nichts. Die Hoffnung, dass hinter der formalen Computerarchitektur noch etwas wie Vision steckt, darf man ohne schlechtem Gewissen begraben. Architektur als Initiator von Utopien hat sowieso nie existiert. Architektur reagiert und repräsentiert. Seit sie mit Kunst als Agitationsfeld kokettiert, hat sie ein Identitätsproblem. Programmatisch hierfür ist diese Ausstellung. Fast alle beteiligten Architekten haben schon gebaut, auch die österreichischen Teilnehmer (COOP Himmelb(l)au; Pichler & Traupmann Architekten; propeller z; Andreas Thaler; the next ENTERprise; veech.media.architecture) sind mehr oder weniger im Markt integriert. Doch ist die Radikalität zur Realität geworden und diese kann man bewerten ohne gleich zu kapitulieren. Der Kampf ist auf weiten Feldern schon gewonnen. Computer, Software und andere Technologien machten plötzlich alles möglich. Eine gebaute Utopie existiert per definition nicht und die experimentelle Entwürfe stellen sich außer einem formalen Anspruch als ziellos heraus. Gut gelaunte Entwürfe zielen auf reine Effekthascherei eines ergrauten Pop-Zeitalters.
Als radikal, experimentell, erfahrungsbildend und prototypisch bezeichnen die beiden Kuratoren Zaha Hadid und Patrik Schuhmacher die Auswahl der gezeigten Projekte. Dieser Anspruch ist mehr als utopisch und bestenfalls latent. Eine Bestandaufnahme der Avantgarde stellt sie dennoch dar, wenn auch als Desillusion. Generationenübergreifend und international lässt Zaha Hadid mit der Ausstellung den Dekonstruktivismus und damit das „Prinzip der Negativität“ hinter sich. 15 Jahre nach der Ausstellung „Deconstructivist Architecture“ im Museum of Modern Art in New York, scheint die Welt wieder in Ordnung oder anders: die Zerstörung der Form wird abgelöst durch die bloße Form. Zaha Hadid fordert wieder eine „kreative Aneignung“ durch das Publikum und dementsprechend präsentieren sich die 26 Architekten und Designer erstaunlich farbenfroh, formal und objektbezogen.
Rauminstallationen, wie die des Österreichers Andreas Thaler, der in seinem Großmöbel „Liquid Lounge“ die Bewegung der Wasseroberfläche nach dem Einschlag eines Wassertropfens einfriert und die entstandene panton-ähnliche Figur bunt bemalt. Weniger statisch, die Box mit leuchtenden Magnetspulen von Reiser & Umemoto, lauter Nadeln, die sich interaktiv beim Eintritt der Besucher bewegen. Noch objekthafter die Beiträge von Ross Lovegrove (Frozen Elasticity ...) und servo (Thermo-cline), die eine rein formale Vision propagieren - möglich gemacht mittels Computertechnologie. Servo zeigt einen Prototyp aus vakuumgeformten Wellacrylschalen, die auf ergonomische Bedingungen des Raumes und der Nutzer reagieren. Sound, Bewegungssensor und Beleuchtung generieren die Stimmung auf mehreren Ebenen. „Event enviroments“ nennen servo ihre Installation. Eine Definition, die auf die gesamte Ausstellung zutrifft. Licht, Farbe und Bewegung stellen den größten gemeinsamen Nenner der Objekte dar. Die Mischung aus Möbeln, möbelähnlichen Objekten und lichtstarken Modellen, schafft im gesamten ein Ambiente, das eher einem Verkaufsraum für Beleuchtungskörper gleicht. Nicht selten ist man versucht, nach dem Preisschild zu greifen. Wirklich enttäuschend und banal hingegen die Bubble-Blob-Tapete von Asymptote und die kleinteilige Designpalette von Greg Lynn. Er präsentiert ein Kaffee- und Teeset für Alessi, ein Schachspiel mit Lynn-Figuren und deformierte Deckenplatten. Bei diesen formalen Spielereien kann man utopische Ansätze nur noch in dem Versuch nach serieller Massenproduktion suchen. Doch auch die bleiben besser latent. Letzten Endes wird die Wanderung durch die Ausstellung ein Parcours durch die Vergangenheit mit sich ständig aufdrängenden Vergleichen – futuristische Bewegungsmechanismen, expressionistische Formenvielfalt, Filmkulissen, technoide Roboter, die sich wie in Terminator II durch Gitterstäbe gequetscht haben bis zu Wohlfühldesign aus den 70ziger Jahren schaffen eine vielfältige Retrospektive gepaart mit Nostalgie. Man hat zwar alles schon gesehen, doch niemals in dieser „aufwendigen Dichte“ und so publikumswirksam.
Offensichtlicher noch, wenn man genauer hinschaut, die Präsentation des WTC Entwurfes (nach Toyo Ito) von Foreign Office Architects „United we stand (The bundle tower)“. Hier offenbart sich ein globaler „Wir-sind-eine-Menschheit“ Gedanke, ohne Reflexion, Moral oder Kritik am kapitalistischen System, rechnet dieser Entwurf mit Visionen einer „besseren“ Welt ab. FOA: “ ... der Bundle Tower wurde nicht als Denkmal entworfen, sondern als Ziel, dem kapitalistischen Raum, der in ständiger Expansion und Veränderung begriffen ist, eine vorläufige Gestalt zu geben ...“. Dies ist nicht nur eine fragwürdige Vision, sondern eine Art kapitalistisches Manifest, das alles, nur keine Fragen mehr stellt.
Doch die tauchen letztens Endes auf. Darf man es wagen eine eingeschworene Sofware-Familiy, die sich weit hinauswagt, ohne Zweifel neue Felder eröffnet und das Spektrum bereichert, so in Frage stellen? Ich sage: ja. Weil ich noch glaube. Und ich bin der erste der Land schreit, wenn er es sieht. Doch Utopie hat nichts mit dem Design von Teetassen und Sitzmöbeln zu tun. Und nichts wäre mir lieber als diese „Utopie“ im Rückspiegel ein letztes mal zu betrachten und dann voll aufs Gas zu steigen.


Publikation:

Latente Utopien; Experiments within Contemporary Architecture; Zaha Hadid/Patrik Schuhmacher; steirischer herbst 2002; Coproduction with Graz 2003 – Cultural Capital of Europe; Springer Wien/New York
www.steirischerbst.at
www.graz03.at

Beteiligte Architekten und Designer:

AA Design Research Lab (GB)
angélil graham pfenninger scholl architecture (CH)
Asymptote (USA)
branson coates architecture limited (BG)
COOP Himmelb(l)au (A)
dECOi architects (F)
Foreign Office Architects (GB)
Greg Lynn FORM (USA)
Kolatan / Mac Donald Studio (USA)
Ross Lovegrove (GB)
MVRDV (NL)
NOX/Lars Spuybroek (NL)
ocean D, Boston, New York, London
OCEAN NORTH (FIN)
Pichler & Traupmann Architekten (A)
propeller z (A)
Karim Rashid (USA)
Reiser & Umemoto (USA)
Sadar Vuga Arhitekti the Designers Republic (SL/GB)
servo (S/USA)
Softroom (GB)
Andreas Thaler (A)
the next ENTERprise (A)
UN Studio (NL)
veech.media.architecture (A)
Zaha Hadid Architects (GB)



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